Bildung im Spannungsfeld veränderter Rahmenbedingungen
In den Entwicklungen des Bildungswesens spiegeln sich immer gesellschaftliche Prozesse wider. Das bedeutet, dass sich nicht nur demografische und wirtschaftliche Veränderungen, sondern auch die Entwicklung von Familien- und Lebensformen sowie Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt direkt oder indirekt auf das Bildungssystem auswirken. Konkret sind damit zum Beispiel die Integration von geflüchteten Menschen oder die angespannte Fachkräftesituation gemeint. Diese Themen und Entwicklungen wirken sich auf die Ausgestaltung der Bildung und Betreuung aus.
Stabiles Angebot von Grundschulen, aber Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland
Nach mehreren Jahren des Rückgangs ist das Angebot an Grund- und weiterführenden Schulen vorerst stabil. Der 10. Bildungsbericht verdeutlicht, dass die Schüler:innenzahlen aufgrund der demografischen Entwicklungen wieder ansteigen und sich der Ausbau ganztägiger Bildungs- und Betreuungsangebote kontinuierlich fortsetzt. Zentrale Herausforderungen bleiben jedoch die Gewinnung und Sicherung von qualifiziertem Personal für die Angebote der Grundschulkinder.
Aktuell wird der Bedarf an Ganztagsangeboten für Grundschulkinder noch nicht überall vollständig erfüllt. Dabei zeigen sich deutliche Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland: Die Inanspruchnahme eines Ganztagsangebotes liegt in Westdeutschland mit 50 Prozent unter dem Bedarf, den sich Eltern wünschen (58 Prozent). In Ostdeutschland nehmen 84 Prozent der Grundschulkinder ein ganztägiges Bildungs- und Betreuungsangebot wahr. Das sind im Vergleich deutlich mehr und die Differenz zu den Elternwünschen ist mit 88 Prozent geringer.
Neben den regionalen Unterschieden zeigen sich zudem soziale Ungleichheiten: Der ungleiche Zugang zu ganztägigen Angeboten hat in den letzten Jahren zugenommen. Von denjenigen Eltern, die einen Bedarf äußern, erhalten Kinder von erwerbstätigen Müttern, aus akademischen Haushalten oder ohne Migrationshintergrund mit höherer Wahrscheinlichkeit einen Platz in Bildungs- und Betreuungsangeboten für Grundschulkinder.
Bildungserfolge der Kinder von der sozioökonomischen Situation abhängig
Der Bildungserfolg in Deutschland ist noch immer stark von der sozialen Herkunft abhängig. Das ist ein zentraler Befund des Berichts: Obwohl sich die Leistungen und Noten gleichen, erhalten nur 32 Prozent der Kinder mit einem niedrigen sozioökonomischen Status eine Gymnasialempfehlung. Bei Kindern mit hohem sozioökonomischem Status sind es 78 Prozent. Das führt dazu, dass 58 Prozent der privilegierten Kinder nach der Grundschule auf ein Gymnasium wechseln, bei Kindern aus benachteiligten Familien sind es hingegen nur 44 Prozent.
Auch der Erwerb von Lesekompetenzen im Primarbereich hängt anhaltend stark vom sozioökonomischen Status des Elternhauses ab. Zudem werden bildungsbezogene Freizeitaktivitäten ebenfalls häufiger von Kindern aus akademischen Familien besucht. Damit machen die Ergebnisse die Notwendigkeit einer weiterhin besseren Leseförderung deutlich. Dafür könnten sowohl Möglichkeiten der datengestützten Diagnose und Förderung vermehrt genutzt werden als auch die Lehrkräfte bei der Entwicklung von Förderstrategien stärker unterstützt werden, zum Beispiel durch lerntherapeutische Expertise. Zudem bedürfen insbesondere Schulen in herausfordernden Lagen zusätzliche Ressourcen. Einige Länder haben bereits spezifische Förderprogramme entwickelt. Darüber hinaus werden Ressourcen sowohl für zielgruppenspezifische, wie zum Beispiel das Startchancen-Programm, als auch für themenspezifische Maßnahmen und Projekte, wie zum Beispiel der Digitalpakt Schule, von Bund und Ländern bereitgestellt.
Mehr Schulabgänge ohne Abschluss
Der Anteil der Schüler:innen, die in Deutschland die Schule ohne Abschluss verließen, ist im Jahr 2022 wieder gestiegen. Nach einem kurzen pandemiebedingten Rückgang liegt die Quote der Abgänger:innen ohne Schulabschluss wieder bei 6,9 Prozent. Nach dem Hochpunkt von 8 Prozent im Jahr 2006 war diese bis 2013 auf 5,7 Prozent gesunken. Danach stieg sie bis auf einen pandemiebedingten Rückgang wieder an. In der Folge bedeutet dies für die Jugendlichen erhebliche Barrieren beim Übergang in eine Berufsausbildung.
Eine enge Kooperation zwischen schulischen und außerschulischen Akteur:innen in Politik, Verwaltung, Schule sowie Kinder- und Jugendhilfe kann Ungleichheiten im Bildungswesen abbauen. Insbesondere ganztägige Bildungs- und Betreuungsangebote können Chancengerechtigkeit steigern.
Der Bildungsbericht
„Bildung in Deutschland“ ist ein Bericht, der alle 2 Jahre eine systematische Bestandsaufnahme des deutschen Bildungssystems bietet. Als Bestandteil des Bildungsmonitorings werden auf Basis von Daten der amtlichen Statistik und aus sozialwissenschaftlichen Erhebungen Entwicklungen und Herausforderungen für das Bildungswesen in Deutschland beschrieben. Eine wissenschaftlich unabhängige Autor:innengruppe erstellt den von der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland (KMK) und dem Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Bericht.
Der Bericht wurde unter Federführung des DIPF | Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation von einer Autor:innengruppe und ihren Co-Autor:innen erstellt, die verschiedenen wissenschaftlichen Einrichtungen und statistischen Ämtern angehören.