Am 24. Januar 2023 fand in Berlin eine Fachtagung zur Qualifizierung von Mitarbeitenden ohne (pädagogische) Ausbildung statt. Personen insbesondere aus Landesministerien und bundesweiten Verbänden nahmen teil. Bei der Tagung sollte insbesondere die Frage diskutiert werden, ob es zur Qualifizierung von Beschäftigten ohne einschlägige pädagogische Ausbildung ein bundeseinheitliches Curriculum braucht. Derzeit gibt es bereits einige Projekte, die Fort- und Weiterbildungen für solche Beschäftigten anbieten. Die Beschäftigten sind haupt- oder nebenberuflich im Ganztag tätig– ohne eine pädagogische Qualifikation. Vier solcher Projekte stellten ihre Vorgehensweisen und Erfahrungen auf der Tagung vor.
Marion Binder, Leiterin des Referats Ganztagsbetreuung von Grundschulkindern im Bundesfamilienministerium, eröffnete die Fachtagung. Anschließend präsentierte Katja Tillmann von der Weiterbildungsinitiative Frühpädagogische Fachkräfte (WiFF) am Forschungsverbund der TU Dortmund und dem Deutschen Jugendinstitut (DJI) aktuelle Zahlen. In ihrem Vortrag widmete sie sich dem „Versuch einer Vermessung des Feldes – außerunterrichtliche Ganztagsbildung und -betreuung von Kindern im Grundschulalter – wer leistet hier welchen Beitrag und zu welchen Bedingungen?“. Dabei verdeutlichte sie die vielfältigen Anforderungen im Ganztag, die das Personal täglich umsetzen muss. Einen Überblick zu erforderlichen Kompetenzen und Handlungsfelder hat das WiFF in einem Wegweiser zusammengefasst. Des Weiteren skizzierte Frau Tillmann in ihrem Vortrag die vielfältige – und bisher wenig erfasste – Landschaft der Fort- und Weiterbildungen.
Im Anschluss zeigte Dr. Christine Steiner vom Deutschen Jugendinstitut (DJI) in ihrer Präsentation „Qualifikationsstruktur und Weiterbildungsengagement im Ganztag tätiger pädagogischer Mitarbeiter:innen“ auf, welche Personen im Ganztag tätig sind. Dabei wurde deutlich, dass die nebenberuflich oder ehrenamtlich tätigen Personen eine große „Nähe zum Feld“ haben: Viele blieben lange im Ganztag aktiv. Dennoch sei ein Defizit an ganztagsspezifischen Weiterbildungsangeboten festzustellen: Der Ganztag sei eher ein „Arbeitsort als ein Qualifikationsfeld“. Bestehende Weiterbildungsangebote würden in erster Linie von der Kernbelegschaft in Anspruch genommen. Dabei sei eine Qualifizierung auch für nebenberuflich oder ehrenamtlich Beschäftigte relevant – insbesondere beim Berufseinstieg.
Nach diesem inhaltlichen Input stellten vier Projekte ihre Fortbildungskonzepte vor:
- Ricardo Grams und Ildikó Kanalas-Kahler von der Serviceagentur „Ganztägig lernen“ in Schleswig-Holstein stellten den Zertifikatskurs „Qualifizierung für pädagogische Mitarbeitende an Ganztagsschulen vor“ vor. Dieser bietet seit 2017 an Volkshochschulen ein niedrigschwelliges Angebot zur Qualifizierung von Beschäftigten im Ganztag ohne pädagogische Ausbildung. Der Zertifikatskurs wird sowohl online als auch in Präsenz an dreizehn teilnehmenden Volkshochschulen angeboten. Einzige Zugangsvoraussetzung ist dabei, dass die Personen im Ganztag tätig sind. Viele der Teilnehmenden seien Quereinsteigerinnen und Quereinsteiger aus anderen Bereichen oder Wiedereinsteigerinnen und -einsteiger nach der Elternzeit.
- Ulrike Glöckner von der Impulse Akademie Freiburg berichtete von den Erfahrungen aus Freiburg. Hier bezahlt die Kommune den Qualifizierungskurs für alle Mitarbeitenden von kommunalen oder freien Trägern. Die Arbeitszeit wird ebenfalls angerechnet. Eine mindestens einjährige Berufserfahrung im Ganztag ist Zugangsvoraussetzung. So würden Hürden gesenkt, die Personen an einer Weiterbildung sonst hindern könnten. Inhaltlich orientiert sich das Konzept stark an der Biographiearbeit, den Kinderrechten und einem starken Praxisbezug. Mittlerweile würden viele Kommunen in Südbaden das Angebot in Anspruch nehmen.
- Dr. Anna-Maria Seemann stellte die Ausbildung zur „Fachpädagog*in für Ganztagsbildung (IHK)“ von der Akademie für Ganztagspädagogik e. V. vor. Seit 2017 bietet die Akademie halbjährig den Lehrgang an, der sowohl auf wissenschaftlichen Erkenntnissen beruht als auch an den Bedarfen aus der Praxis im Ganztag ausgerichtet ist. Der Kurs ist von der Zentralstelle für Fernunterricht (ZFU), von der Bundesagentur für Arbeit nach der Akkreditierungs- und Zulassungsverordnung Arbeitsverordnung (AZAV) und von drei IHKs aus dem Bundesgebiet zertifiziert. Das Angebot richtet sich nicht an Berufseinsteigerinnen und -einsteiger, sondern an Personen, die schon eine berufliche Laufbahn hinter sich haben und sich im Ganztag weiterentwickeln wollen. Zugangsvoraussetzung ist ein erfolgreicher Schulabschluss, die Mittlere Reife oder ein Hauptschulabschluss sowie eine Berufsausbildung.
- Natalie Niedermeier vom Bayrischen Staatsministerium für Familie, Arbeit und Soziales berichtete von den spezialisierten und breiten Aus- und Weiterbildungsangeboten in Bayern. Neben der Breitbandausbildung zur Erzieherin oder zum Erzieher gibt es eine zweijährige Fachschulausbildung zur „Pädagogischen Fachkraft für Grundschulkindbetreuung“. Des Weiteren besteht die Möglichkeit, eine 15-monatige berufsbegleitende Weiterbildungsmaßnahme zur „Ergänzungskraft für Grundschulkindbetreuung“ zu absolvieren. Ziel ist es, alle Maßnahmen zur Aus- und Weiterbildung in einem Gesamtkonzept für die berufliche Weiterbildung zu bündeln. Natalie Niedermeier verdeutlichte die große Herausforderung potenzielle Quereinsteigende zu erreichen, die noch nicht im Feld seien.
Die anschaulichen Praxisimpulse zu den vier Fortbildungskonzepten wurden daran anknüpfend aus drei Perspektiven anhand von zwei Fragen kommentiert:
- Braucht es ein bundesweites Curriculum zur Qualifizierung von Mitarbeitenden ohne (pädagogische) Ausbildung?
- Wenn ja: Welche strukturellen Aspekte sollte das Currriculum beinhalten?
Die übergeordnete Frage war dabei, inwieweit ein bundesweites Curriculum aus der Sicht der Ausbildung von pädagogischen Fachkräften kommentierte Dr. Ludger Mehring von der Fachschule St. Franziskus für Sozial- und Heilpädagogik in Lingen, dass es kein fachliches Problem in der Aus- und Weiterbildung gebe – sondern einen „massiven Fachkräfteengpass“. Dabei sollten die Fachkräfte nicht aus der Kita in den Ganztag geholt werden, sondern eher das Berufsbild der Ganztagsbetreuung und -bildung geschärft werden. So würden Arbeitsbedingungen verbessert und mehr Fachkräfte für den Ganztag gewonnen werden. Aus Sicht der öffentlichen und privaten Träger führte Maria-Theresia Münch vom Deutschen Verein für öffentliche und private Fürsorge (DV) aus, dass ein bundeseinheitliches Curriculum sinnvoll sein könne, solange es keine „starren Standards“ formuliere. Sie betonte das Potential, dass durch den Rechtsanspruch die Systeme der Kinder- und Jugendhilfe und der Schule näher zueinander gebracht werden könnten. Doreen Siebernik von der Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW) nahm die Perspektive der Fachkräfte ein. Sie betonte, dass weiterhin die Ausbildung zur staatlich anerkannten Erzieherin und Erzieher ein wichtiges Ziel bleiben müsse. Jedoch sei es in einer „Phase des Aufbaus“ wichtig, Ideen zu entwickeln, um die Menschen zu qualifizieren, die sich beruflich verändern und sich für den Ganztag qualifizieren lassen wollen. Dabei sollte zunächst auch die Frage der Strukturqualität beantwortet werden.
Abschließend diskutierten die Teilnehmenden der Fachtagung gemeinsam die oben genannten Fragen.
Die meisten der Teilnehmenden befürworteten die Entwicklung eines bundesweiten Curriculums. Dieses müsse aber durchlässig für verschiedene Zugänge zur Qualifikation, modular aufgebaut und anschlussfähig für die Praxis im Ganztag sowie bestehende Angebote sein. Dabei ist auch die Heterogenität in den Ländern zu berücksichtigen. Ein Rahmen zur Qualifizierung des Personals könne ein wichtiger Beitrag des Bundes zur Qualität der Ganztagsbildung und -betreuung von Grundschulkindern sein – in Ergänzung zum quantitativen Ausbau. Auch könnten Synergien zwischen dem geplanten Qualitätsrahmen und einem solchen Curriculum entstehen.
Datum: 24.01.2023
Beginn: 10:00 Uhr Ende: 16:00 Uhr
Ort: Berlin