Praxisblitzlicht „Vom Kind aus gedacht“ wird an der Franz-Leuninger-Schule in Mengerskirchen

Wie wichtig ist die Einbindung des Sozialraums – insbesondere für eine ländlich geprägte Grundschule wie Ihre?

Enorm wichtig!

Wir sind, wie viele andere Gemeinden im ländlichen Raum auch von Wegzug, Leerstand und Wandel der Familien betroffen. Dem versuchen wir so gut es geht zu begegnen. Bereits im Jahr 2007 haben wir das Bildungsforum Mengerskirchen gegründet. Darin sind alle Bildungseinrichtungen vernetzt, also Krippen, Kitas, Schule, Kommune und weitere Bildungseinrichtungen und Akteure aus der Gemeinde. Finanziell wird die Arbeit des Netzwerkes von den heimischen Firmen unterstützt. So ist es zu einem großen Netzwerk gewachsen, auch mit Vertreterinnen und Vertretern aus der Wirtschaft und vielen Ehrenamtlichen. Als „Expertenrat für die Belange der Kinder und ihrer Familien vor Ort“ findet das Netzwerk auch großes Gehör in der Politik.

Durch diese Vernetzung konnten wir ein verlässliches Ganztagsangebot für die Kinder in unserer Gemeinde geschaffen. Viele Eltern haben zum Beispiel ein Kind in der Kita und ein Kind in der Grundschule und auch beim Wechsel von Kita zur Schule muss die Betreuung weiterhin gewährleistet sein. Wir stimmen uns zu all diesen Themen mit allen Bildungseinrichtungen ab. Dadurch gibt es bei uns für Kinder ab dem ersten Lebensjahr einen verlässlichen und kostenfreien (bis auf das Mittagessen) Ganztag und darüber hinaus auch ein mit allen abgestimmtes verlässliches Ferienbetreuungskonzept. Zudem binden wir zum Beispiel auch Logopäden und Ergotherapeuten in den Ganztag ein, die dann in den jeweiligen Einrichtungen (Kita oder Grundschule) Gruppenangebote durchführen. Auch können Therapien, die einzelnen Kindern durch Ärzte verschrieben werden, durch dieses Personal in den Räumen der jeweiligen Einrichtungen durchgeführt werden. So sparen sich die Eltern auch die Fahrtwege zu den Praxen sowie lange Wartezeiten für Termine. All das findet dann auch in den Zeiten des Ganztagsangebotes statt.

Dadurch haben wir eine extrem hohe Elternzufriedenheit! Wir haben Familien, die kaufen hier oder bauen hier Häuser, weil sie bei diesem Familienangebot partizipieren wollen. Insgesamt stärkt dieses Engagement für Bildung also auch unsere Gemeinde. Gute Ganztagsangebote können den ländlichen Raum für Familien attraktiv machen.

Was waren Ihre Herausforderungen auf den Weg zu einer Ganztagsschule im ländlichen Raum?

Wir sind seit über 20 Jahren eine Ganztagsschule. Wir starteten mit dem Ganztagskonzept zu einer Zeit, in der es dieses Angebot in Hessen kaum gab. Zu diesem Zeitpunkt verließen viele gut ausgebildete junge Menschen Mengerskirchen. Andere Familie, teils mit Migrationshintergrund oder hohen Belastungen zogen zu. Es galt, als Schule einen inklusiven Lernort zu schaffen, der jungen Familien das bot, was sie brauchen, beispielsweise ein flexibles und bezahlbares Ganztagsangebot. Da wir die „Ersten“ waren und damit neue Wege gingen, konnten wir diese auch mitgestalten. Aber wir mussten auch einige Hürden überwinden und viel Überzeugungsarbeit leisten. Unser Schulträger und auch das Schulamt hatten keine Erfahrung, was eine gute Ganztagsschule ist oder sein soll. Wie gestaltet sich der Tag? Welches Personal wird gebraucht, wie wird es bezahlt und wo ist es angestellt? Auch heute ist das oft noch nicht klar. Es gibt immer noch viele Hürden, als Schule Personal außerhalb der Lehrerschaft einzustellen. Vor diesen Herausforderungen stehen aber alle Ganztagsschulen, nicht nur im ländlichen Raum.

Und wir brauchten natürlich auch andere Räume für den Ganztag. Nach langem und hartem Kampf konnten wir uns eine eigene Architektin nehmen. In Zukunftswerkstätten haben wir unsere Ideen von den geeigneten Räumen für den Ganztag entwickelt. Diese wurden dann so gebaut, dass wir jetzt Räume für alle Belange des Ganztags haben (Spielwiese, Theater, Atelier, Turnhalle, Mensa und auch Therapieräume). Als ländliche Region haben wir außerdem den Vorteil, über ein großes Außengelände zu verfügen, zudem können wir durch die kurzen Wege zu außerschulischen Lernorten wie dem Wald, Bauernhof und anderen, diese ebenfalls im Rahmen des Ganztagsangebots einbinden bzw. aufsuchen.

Mit unserem Ganztagskonzept und den Räumen haben wir den Wohlfühlort Schule geschaffen, zu dem sowohl die Erwachsene als auch die Kinder sehr gerne hingehen.

Wir haben fast 15 Jahre lang versucht Angebote mit den Vereinen vor Ort im Rahmen des Ganztags anzubieten, denn wir haben ein wirklich aktives Vereinsleben. Aber die Angebote werden meist von Ehrenamtlichen ausgeführt. Diese gehen oftmals selbst bis zum Nachmittag einem Beruf nach. Es wurde so immer schwieriger ein Vereinsangebot im Ganztag bereit zu stellen. Viele der Vereinsangebote beginnen heute erst nach 17 Uhr.

Was waren Ihre Beweggründe schon vor über 20 Jahren eine Ganztagsschule für Kinder im Grundschulalter anzubieten?

Uns war es wichtig eine Ganztagsschule zu schaffen, um echte Chancengleichheit und Bildungsgerechtigkeit für alle Kinder zu ermöglichen und die Eltern zu unterstützen. Wir haben gesehen, dass es viele Familien mit Belastungen oder Bedarfen gab, wie beispielsweise Kinder von Alleinerziehenden oder berufstätigen Eltern, oder Familien mit Migrationshintergrund. Im Ganztag können die Kinder vielfältige Unterstützung erhalten, z. B. Hausaufgabenbetreuung, Sprachförderung und andere Therapieangebote und dass alles in den Zeiten und Räumen der Schule. Als im Jahr 2015 viele Kinder mit Fluchthintergrund unsere Schule besuchten, haben wir auch schnell die Chancen des Ganztags genutzt, damit die Kinder Sprache erlernen, Kultur erleben und gut integriert werden können. 
Wir haben außerdem gemerkt, dass die Zeit ab 15 Uhr wichtig ist für die Selbstregulierung. Bei uns können sich die Kinder je nach Tagesform ab 15 Uhr jeden Tag selbst für ein Angebot entscheiden. Es gibt ruhige Angebote wie Yoga, Vorlesen und Basteln, aber auch Sport- und Outdoorangebote und auch welche, die von den Kindern selbst ausgedacht und zusammen mit einem Erwachsenen durchgeführt werden. Dabei sind alle unsere Angebote inklusiv, das heißt ALLE Kinder nehmen an dem gleichen Angebot teil.

Wir bieten dabei (eigentlich) einen gebundenen Ganztag an. Aber die Familie wollen zum Teil auch flexibel sein und ihre Kinder nicht die volle Woche in den Ganztag geben, da sie auch die Großeltern einspannen oder Freizeitangebote außerhalb der Schule nutzen möchten. Also haben wir ein Angebot geschaffen, das so ist, wie es die Kinder und Familie brauchen. Logistisch ist das natürlich eine Riesennummer, da sich jedes Kind bei uns jeden Tag anders anmelden kann. Damit Abläufe und Kommunikation sowie die gesamte Logistik und Administration gelingen, haben wir als erweitertes Schulleitungsteam eine Ganztagkoordinatorin benannt und mit personellen Ressourcen ausgestattet.

Kurzportrait 
Rund 270 Kinder besuchen die Franz-Leuninger-Schule in der Gemeinde Mengerskirchen (Hessen) im Westerwald. Dabei kommen die meisten Kinder aus den fünf Ortsteilen der Gemeinde (ca. 6000 Einwohnerinnen und Einwohner). Seit 2015 hat die Schule auch drei Intensivklassen für Kinder mit Fluchterfahrung, die meist einen längeren Schulweg von bis zu 30 Kilometern zurücklegen. Als Ganztagsschule im ländlichen Raum setzt die Schule unter anderem auf Vernetzung mit allen Bildungseinrichtungen der Gemeinde. An dem kostenlosen ganztägigen Bildungs- und Betreuungsangebot nehmen überdurchschnittlich viele Grundschulkinder teil (95 Prozent). Dabei wurde der Tagesablauf den Bedürfnissen der Kinder angepasst. Ein multiprofessionelles Team von 70 Mitarbeitenden (davon nur etwa ein Drittel Lehrerinnen und Lehrer) begleitet die Kinder durch den Tag.