Am 17. November 2022 fand in Berlin eine Fachtagung zu den in der offenen Ganztagsbetreuung tätigen (Fach)Kräften statt. Marion Binder, Leiterin des Referats Ganztagsbetreuung von Grundschulkindern und Dr. Miriam Saati, Unterabteilungsleiterin im Bundesfamilienministerium, eröffneten die Fachtagung. Beide betonten, dass der quantitative und qualitative Ausbau der Ganztagsbetreuung von Grundschulkindern nur mit qualifiziertem Personal gelingen kann. Nach aktuellen Schätzungen werden im Schuljahr 2029/2030 – wenn Kinder der Klassenstufen eins bis vier nach dem Ganztagsförderungsgesetz einen Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung haben – bundesweit 48.000 bis 66.000 zusätzliche Fachkräfte im Ganztag benötigt.
In ihrer Ansprache gingen Marion Binder und Dr. Miriam Saati auf das 2021 beschlossene Ganztagsförderungsgesetz (GaFöG) und nächste Schritte ein. Derzeit werde der Abschluss der Verwaltungsvereinbarung zur Durchführung des Gesetzes über Finanzhilfen des Bundes zum Ausbau ganztägiger Bildungs- und Betreuungsangebote für Kinder im Grundschulalter vorbereitet, damit das neue Investitionsprogramm Ganztagsausbau bald starten kann. Dafür stehen 2,75 Mrd. Euro bereit. Für den weiteren Umsetzungsprozess wird das geplante Bund-Länder-Koordinierungsgremium eine wichtige Funktion haben, das 2023 seine Arbeit aufnehmen soll.
Frau Binder und Frau Dr. Saati gingen auch auf bestehende Herausforderungen mit dem Personal in der Ganztagsbetreuung ein. Demnach ist die Datenbasis zu den im Ganztag beschäftigten Personen insgesamt unzureichend, wobei die Kinder- und Jugendhilfestatistik Daten zum Personal in den Horten liefert. Verschiedene Studien geben Hinweise darauf, dass die Beschäftigungsverhältnisse im Ganztag zum Teil prekär sind. Dies bezieht sich nicht unbedingt auf die Ausbildung der Beschäftigten, sondern auf den Stundenumfang und die Lohnhöhe. Dieser Umstand trägt dazu bei, dass das Arbeitsfeld als weniger attraktiv, beispielsweise im Vergleich zur frühkindlichen Bildung, Betreuung und Erziehung, angesehen wird.
Frau Katja Tillmann von der Weiterbildungsinitiative Frühpädagogische Fachkräfte (WiFF) des Forschungsverbundes DJI/TU Dortmund stellte aktuelle Zahlen in ihrer Präsentation „Arbeiten im Ganztag – Zwischen Qualitätsanspruch und Fachkräftemangel“ vor. Sie zeigte, dass das Personal im Bereich der Frühen Bildung zwischen 2011 und 2021 um 59 Prozent auf fast 700.000 Personen anstieg. Zeitgleich stieg jedoch die Nachfrage nach pädagogischen Fachkräften stärker an als das Angebot, der Erzieherin bzw. Erzieher-Beruf ist inzwischen Engpassberuf. Mit Bezug auf die Arbeitssituation des Personals im Ganztag stellte Katja Tillmann heraus, dass es in der Kinderbetreuung und -erziehung an Grundschulen eine wesentlich höhere Teilzeitquote als in der Frühen Bildung gibt. Sie wies zudem auf den stark nachgefragten neuen WiFF Wegweiser „Ganztag für Grundschulkinder. Grundlagen für die kompetenzorientierte Weiterbildung“ hin, der das Ergebnis eines intensiven Diskussionsprozesses von Expertinnen und Experten sei und auf die Aus- und Weiterbildung aller in Ganztagsangeboten pädagogisch tätigen Personen abziele.
Professorin Dr. Kirsten Thommes und Karin Knorr von der Universität Paderborn schlossen thematisch an die Präsentation von Katja Tillmann an. Sie stellten die zentralen Ergebnisse aus ihrer explorativen Studie „Entwicklung und Aufwertung von Berufen in der offenen Ganztagsbetreuung“ vor. Das Bundesfamilienministerium beauftragte Prof. Dr. Kirsten Thommes und ihr Team mit der Studie, da bislang kaum Daten über die Beschäftigungsstrukturen in der Ganztagsbildung und -betreuung vorhanden sind. Um eine aktuelle Schätzung der Beschäftigungsstruktur vorzunehmen, wählte das Team um Prof. Dr. Thommes ein Hochrechnungsverfahren als Ansatz. Zudem wertete es systematisch Stellenanzeigen insbesondere hinsichtlich der Stundenumfänge, Tarife (Vergütungen) und Befristungen aus (siehe Präsentation). Die Hochrechnungen zeigten, dass die Beschäftigungsstruktur in der offenen Ganztagsbetreuung bundesweit sehr heterogen einzuschätzen ist und nur teilweise pädagogische Fachkräfte zum Einsatz kommen. Je höher die Qualifikation ist, desto besser sind die Arbeitsbedingungen, ist ein weiterer Befund der Studie. So zeigten die Auswertungen der Stellenanzeigen beispielsweise, dass Leitungs- und Fachkräfte-Stellen zu 95 bzw. 96 Prozent mit tariflicher Vergütung ausgeschrieben wurden, für Beschäftigte ohne Fachausbildung nur zu 59 Prozent mit tariflicher Vergütung. Die Stellen für Fachkräfte wurden zu 29 Prozent für befristete Arbeitsverträge und zu 18 Prozent für weniger als 17,5 Stunden/Woche ausgeschrieben. Bei den ausgewerteten Stellenanzeigen für Beschäftigte ohne Fachausbildung wurden hingegen 57 Prozent für befristete Arbeitsverträge und zu 68 Prozent für weniger als 17,5 Stunden/Woche ausgeschrieben.
Abschließend diskutierten die Teilnehmenden der Fachtagung die Ergebnisse der Studie. Deutlich wurde: die Studie liefert einen ersten Einblick in die Beschäftigungsstruktur in der Ganztagsbetreuung. Eine Ausleuchtung des gesamten Arbeitsfeldes ist aufgrund der sehr heterogenen Beschäftigungsstruktur und der unzureichenden Datenlage derzeit nicht möglich. Das Potenzial an Beschäftigten im Ganztag ist groß. Trotz der teilweise prekären Arbeitsbedingungen besteht unter den Beschäftigten eine hohe Bindung an das Arbeitsfeld. Um die Zufriedenheit des Personals und die Attraktivität dieses Berufsfeldes weiter zu steigern, sind beispielsweise die Reduzierung atypischer Beschäftigungsverhältnisse und (berufsbegleitende) Weiterbildungen von Beschäftigten im Ganztag wichtig.
Ein „guter Ganztag“ kann nur gemeinsam und mit guten Arbeitsbedingungen gelingen. Dabei lohnt sich der Blick auch in andere Länder wie Dänemark oder Norwegen, wie die Studie der Universität Paderborn ebenfalls zeigt.
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