Begrüßung und Eröffnung
Ekin Deligöz
Parlamentarische Staatssekretärin bei der Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Prof. Dr. Sabine Döring
Staatssekretärin im Bundesministerium für Bildung und Forschung
Impulsvortrag zum Thema „Perspektiven auf gesellschaftliche Ziele der Ganztagsbildung“
mit anschließendem Podiumsgespräch
Prof. Dr. Alena Buyx
Vorsitzende des Deutschen Ethikrates
Prof. Dr. Alena Buyx, Vorsitzende des Deutschen Ethikrates berichtet aus der Ad-Hoc-Empfehlung „Pandemie und psychische Gesundheit. Aufmerksamkeit, Beistand und Unterstützung für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene in und nach gesellschaftlichen Krisen“ des Deutschen Ethikrates.
„Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene dürfen in gesellschaftlichen Krisen nicht alleingelassen werden“, betont Alena Buyx, die Vorsitzende des Deutschen Ethikrates. „Während der COVID-19-Pandemie wurde nicht hinreichend gewürdigt, welchen psychischen Belastungen sie durch die Pandemie selbst sowie durch die zu ihrer Bekämpfung ergriffenen Maßnahmen ausgesetzt waren. Der jungen Generation wurde große Solidarität abverlangt“, so Buyx weiter. „Aber diejenigen, die selbst in Notlagen gerieten, erhielten nicht zuverlässig die erforderliche Beachtung und Unterstützung. Wir schulden als Gesellschaft Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen nicht nur Dank und Respekt, sondern konkretes Handeln. Deshalb müssen unterstützende Angebote ausgebaut, Versorgungslücken müssen geschlossen und es muss unbedingt vermieden werden, dass junge Menschen in aktuellen und zukünftigen gesellschaftlichen Krisen als erste bzw. besonders viele Lasten tragen müssen.“
Ad-Hoc-Empfehlung des Ethikrates zum Download
Diskussion auf dem Podium
In einer lebhaften Diskussionsrunde im Anschluss an den Impulsvortrag der Vorsitzenden des Deutschen Ethikrates Prof. Dr. Alena Buyx brachte es die Leiterin der Abteilung Kinder und Jugend im BMFSFJ, Bettina Bundszus, auf den Punkt, als es um die Zusammenarbeit nicht nur der Ministerien, sondern von Schule, Jugendhilfe und externen Partnerinnen und Partnern ging: „Es ist ja ein Kind.“
Welchen Beitrag der Ganztag leisten kann, erörterten außerdem Dr. Donate Kluxen-Pyta von der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitsgeberverbände, Christiane Gotte, Vorsitzende des Bundeselternrates, Nora Schmidt als Geschäftsführerin des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge sowie der Erziehungswissenschaftler Prof. Dr. Ivo Züchner von der Philipps-Universität Marburg. Das Podiumsgespräch wurde, ebenso wie die gesamten Tage, kompetent und unterhaltsam moderiert von Johannes Büchs, bekannt durch die „Sendung mit der Maus“.
Der Blick in die Zukunft gipfelte in präzisen „Forderungen“: Der Ganztag biete nicht nur nach der Pandemie die Chance, Kinder zu stärken, sondern könne ein Ort für vertrauensvolle Gespräche sein. Dabei sollten Mitarbeitende aller beteiligten Professionen als wichtige Bezugspersonen für die Kinder und Jugendlichen agieren. Bettina Bundszus plädierte für ein enges Miteinander der Professionen: „In jeder Schulleitung sollte jemand aus der Jugendhilfe sitzen“.
Zustimmung kam von Christiane Gotte: „Das ist der richtige Weg.“ Den Wunsch nach einer Abkehr vom „Gießkannenprinzip“, also einer bedarfsunabhängigen, pauschalen Mittelvergabe zugunsten einer zielgenauen „sozialindizierten“ Bereitstellung finanzieller, sachlicher und personeller Ressourcen nach dem Bedarf vor Ort honorierte das Publikum mit Applaus. Mit Blick auf den Rechtsanspruch betonte Bettina Bundszus: „Diese Strukturentscheidung, die die Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie die Bildungsgerechtigkeit stärkt, sorgt dafür, dass sich etwas ändert. Wichtig ist, dass wir dabei die Qualität sichern.“
Das Thema Qualitätsstandards griff Prof. Dr. Ivo Züchner auf: „Die Länder haben sich darauf geeinigt, wie Mathe gelernt wird. Warum werden solche Absprachen nicht auf den Ganztag erweitert?“. Er plädierte dafür, dass man die Zeit bis 2026 nutzen solle, Ziele für einen guten Ganztag zu definieren und zu überlegen, wie diese erreicht werden können. Doch er machte auch deutlich, dass er sich nur einen „klaren Rahmen“ wünsche. Die Entscheidung, wie dieser Rahmen mit Leben gefüllt werde, müsse vor Ort, in der einzelnen Einrichtung getroffen werden. Dem stimmte Dr. Donate Kluxen-Pyta ausdrücklich zu: „Jede Schule muss da ihre eigenen Schwerpunkte setzen können.“
Teilnehmende:
Bettina Bundszus
Leiterin Abteilung 5 „Kinder und Jugend“
im Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Dr. Donate Kluxen-Pyta
Stellvertretende Abteilungsleiterin Bildung,
BDA - Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände e. V.
Christiane Gotte
Vorsitzende Bundeselternrat
Nora Schmidt
Geschäftsführerin des Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge e. V.
Prof. Dr. Ivo Züchner
Phillips-Universität Marburg
Der Text wurde mit Zustimmung der Online-Redaktion von ganztagsschulen.org übernommen:
Stephan Lüke: Ganztagskongress 2023: "Es geht um die Kinder". 04.05.2023. In: https://www.ganztagsschulen.org/de/kooperationen/kinder-und-jugendhilfe/ganztagskongress-2023-es-geht-um-die-kinder.html. Datum des Zugriffs: 15.05.2023
Gesprächsrunde
Lisa Paus
Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Steffen Freiberg
Staatssekretär für Bildung, Jugend und Sport des Landes Brandenburg und designierter Minister für Bildung, Jugend und Sport des Landes Brandenburg
Astrid-Sabine Busse
Senatorin für Bildung, Jugend und Familie von Berlin und Präsidentin der KMK
Im Mittelpunkt der Gesprächsrunde standen Qualitätssicherung und Fachkräfte im Ganztag. Die Länder kündigen an, dass es Empfehlungen der KMK und JFMK zum Ganztag im Herbst 2023 geben wird, die SWK eingebunden wird und KMK und JMFK im Oktober gemeinsam tagen werden. Der Bund betont, dass entscheidend sei, dass vor Ort gut zusammengearbeitet wird. Aufgrund der Länderkompetenz kann der Bund keine weiteren Aufgaben vergeben, Qualitätsstandards sind Ländersache. Die Länder versichern, man habe ein gemeinsames Qualitätsgerüst, dass bei unterschiedlichen Voraussetzungen insbesondere auch vor Ort passend und optimal umgesetzt werden müsse. Dabei sei das Wollen vor Ort i. d. R. vorhanden und lokale Vereinbarungen – auch ohne Vorgaben von oben – wichtig und gut regelbar. Staatssekretär Freiberg schildert, dass in den Ländern, wie z. B. in Brandenburg, auch ohne die für Herbst 2023 angekündigten Empfehlungen angefangen wurde, in die Prozesse einzusteigen. Die Förderrichtlinien der Länder seien fast überall bereits in Vorbereitung.
Aus dem Chat kamen Fragen zu den Kosten, die gesicherte Qualität im Ganztag verursacht. Dabei wurden die teils prekären Beschäftigungsverhältnisse angesprochen. Der Bund weist darauf hin, dass durch den Ganztag ein Rahmen geschaffen werde, damit Beschäftigungsverhältnisse sich bessern. Die Länder konstatieren, dass auch weiterhin Quereinsteiger gebraucht werden (Frau Busse) und dass man an staatlichen Ausbildungsschulen ‚kein Geld mitbringen müsse‘ und keiner weggeschickt würde, der eine Ausbildung absolvieren möchte (Herr Freiberg).
Zur Frage, wie Lehrkräfte bei anhaltendem Lehrermangel und fehlender Zeit – insbesondere bei Teilzeit - multiprofessionell kooperieren sollen, verwiesen die Länder auf die im Herbst kommenden Empfehlungen. Klar sei, dass alle Länder ‚Mühe hätten mit dem Lehrermangel‘, dass es aber eben auch bundesarbeitsrechtliche Regelungen gäbe, die zu beachten sind (Herr Freiberg). Zum Abschluss warben die Gesprächsteilnehmer dafür, dabei zu helfen, dass der Ganztag gelingt (Frau Paus), vergangenheitsbezogene Schuldzuweisungen abzustellen und nach vorne zu schauen (Herr Freiberg) und nicht zu viel zu fragen und ins Handeln zu kommen (Frau Busse).
Autor: Detlef Reuter, BMBF
Vortrag „Ganztagsbildung – Qualitätsaspekte aus der Sicht (inter-)nationaler Expert*innen aus der Wissenschaft, Ergebnisse des BMBF-Verbundprojekts GeLeGanz“
Prof. Dr. Marianne Schüpbach
Freie Universität Berlin
Fragen der Qualitätsstandards behandelte aus wissenschaftlicher Perspektive am zweiten Tag ausführlich Prof. Dr. Marianne Schüpbach, Professorin für Allgemeine Grundschulpädagogik an der Freien Universität Berlin. Sie plädierte ebenfalls für einen bundesweiten Qualitätsrahmen. Es gebe zwar Qualitätsrahmen in den Ländern, aber "eben keine Verpflichtung auf Qualität". Die Expertin, die schon die Schweizer Studien zur "Tagesschule" durchgeführt hat und Vorsitzende des "International Research Network Extended Education" ist, gab zudem einen Einblick in die internationale Diskussion. Interessant ist das unterschiedliche Verständnis der Ganztagsbildung: Während etwa After-School-Programme in Schweden das "freie Spiel" betonen, müssen sie in den USA ihre Wirksamkeit für Lernergebnisse nachweisen.
Voraussetzung eines guten Ganztags, der Individualisierung und Differenzierung in den Angeboten ermöglicht, ist für Schüpbach auf jeden Fall die multiprofessionelle Zusammenarbeit des Personals. Und auf diese müsse schon die Ausbildung - sei es die Lehramtsausbildung, seien es Sozialpädagogik, Kindheitspädagogik oder Erzieherinnenausbildung - vorbereiten. Der "1. Berliner Pädagoginnentag" für Studierende und Auszubildende wird am 17. Juni 2023 an der Freien Universität Berlin alle diese Berufsgruppen zusammenführen.
Bericht übernommen mit Zustimmung der Online-Redaktion von ganztagsschulen.org: Stephan Lüke: Ganztagskongress 2023: "Es geht um die Kinder". 04.05.2023.
Weiterführender Beitrag auf www.ganztagsschulen.org: Ganztagsschule in der Ausbildung
Abschlussplenum „Lehr- und Fachkräfte – die Achillesferse des Ganztagsausbaus?“
auf dem Podium:
Dr. Johanna Börsch-Supan
Leiterin Abteilung Allgemeine und berufliche Bildung; Lebensbegleitendes Lernen im Bundesministerium für Bildung und Forschung
Prof. Dr. Gabriele Flößer
Institut für Sozialpädagogik, Erwachsenenbildung und Pädagogik der frühen Kindheit, Technische Universität Dortmund
Elke Hannack
Stellv. Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes
Anja Fischer
Vorstand Bundesarbeitsgemeinschaft der öffentlichen und freien, nicht konfessionell gebundenen Ausbildungsstätten e. V.
Tobias Klag
Ministerium für Bildung Rheinland-Pfalz
Dass bei Fachkräftemangel in allen Branchen insbesondere zur Fachkräftesicherung für den Ganztagsausbau auf allen Ebenen angesetzt werden muss, wurde eindringlich deutlich. Zentral sind, nicht nur aus Sicht der Gewerkschaften, dabei zuallererst das Halten und Binden der derzeitigen Fachkräfte durch entsprechende Bezahlung (Ausbildung und Beruf) sowie bessere Arbeitsbedingungen und Entwicklungsperspektiven.
Deutlich wird auch, dass unbedingt bereits jetzt Fachkräfte-Kampagnen intensiviert werden sollten und Ausbildungs- und Studienplätze besetzt und ausgebaut werden müssten – auch für einen Quereinstieg. Dabei fehlt es bspw. an Fachschulen für Erzieherinnen und Erzieher an Fachschullehrkräften. Konsens ist zudem, dass die Qualifizierung - auch bei Quereinstieg – hochgehalten werden muss. Ebenso wichtig ist, durch frühe und längere Praxisphasen falschen Haltungen und Selbsteinschätzungen zur Eignung für einen pädagogischen Beruf zu begegnen und eine praxisintegrierte Ausbildung gut zu begleiten. Eine gute Berufsorientierung (auch an den Gymnasien) wird als wichtige Voraussetzung gesehen, um die Abbruchquoten zu senken, die immer noch zu hoch sind.
Als weitere Maßnahmen werden genannt, mehr Frauen ins Erwerbsleben zu holen, Fachkräfte aus dem Ausland durch eine Willkommenskultur zu gewinnen, sowie, dass Schule sich noch mehr öffnen sollte für außerschulische Angebote, wie z. B. von Musikschulen.
Bei der Frage der Finanzierung zeigt sich, dass die Situation in den Ländern und den Kommunen sehr unterschiedlich ist. Abschließend angerissen wird, ob ein Finanzausgleich – insbesondere auf kommunaler Ebene – ein gangbarer Weg wäre und dass ein Wegkommen vom Königsteiner Schlüssel wünschenswert wäre.
Autor: Detlef Reuter, BMBF
26.04.2023 | Fachforen - Runde I (14:00 - 15:30 Uhr)
1. Fachforum | Ergebnisse des wissenschaftsgeleiteten Qualitätsdialogs zum Ganztag – Umsetzung in die Praxis
Dr. Stephan Kielblock | Koordinator des Arbeitsbereiches Bildungsstrukturen und Reformen
Für das Aufwachsen und die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen ist ein qualitativ hochwertiger Ganztag besonders wichtig. Wie gelingt die Weichenstellung, die zu einem qualitätsvollen Ganztag führt? Dieser Frage ging Dr. Stephan Kielblock – Ganztagsschulexperte am DIPF in Frankfurt a. M. – in seinem Fachforum nach. Im Fokus lagen die sechs praxisnahen Arbeitsfelder, die das DIPF im Rahmen des wissenschaftsgeleiteten Qualitätsdialoges gemeinsam mit allen Akteuren der Ganztagsbildung entwickelt hat. Er stellte sechs Arbeitshilfen vor, die Schulentwicklung für den Ganztag unterstützen und die Qualität der Umsetzung sichern sollen.
Im Gespräch wurden einzelne Aspekte vertieft diskutiert. Angesprochen wurde das Thema Sozialraumorientierung als ein wichtiges Feld, in dem den Teilnehmenden aber Inspiration für die Umsetzung und Verankerung in der Praxis fehlte. Intensiv wurde über die Aufgabe der Konzeptentwicklung und Konzeptumsetzung nachgedacht: Wie entstehen lebendige Konzepte, die sich weiterentwickeln, reflektiert und in der Praxis nutzbar sind? Wie gelingt die Verbindung von Didaktik und Praxiswissen von nicht-pädagogischen Kooperationspartnern? Wie können Freiräume geplant werden, ohne sie zu verplanen? Für den schulischen Bereich ist die Arbeit mit Konzepten ein ungewohntes Feld, das erst langsam in den Fokus kommt. Für die Qualität von Konzepten und Angeboten sei entscheidend, dass alle Akteure (pädagogisches und nicht-pädagogisches Personal, Kooperationspartner, Eltern) sich über die Grundsätze ihres pädagogischen Handelns verständigen und in der Umsetzung keine Widersprüche entstehen.
2. Fachforum | Guter Ganztag aus Kindersicht und Implikationen für das Leitungshandeln
Carolin Genkinger | Senior Project Manager Bildung, Robert Bosch Stiftung
Arne Halle | Senior Project Manager Bildung und Next Generation, Bertelsmann Stiftung
Dr. habil. Hanna Pfänder | Leiterin Wissenschaftliche Analysen und impaktlab, Wübben Stiftung
Dr. Dirk Zorn | Director Bildung und Next Generation, Bertelsmann Stiftung
Was wünschen sich eigentlich diejenigen, über die aus so vielen verschiedenen Perspektiven gesprochen wird? Was ist für unsere Kinder ein „guter“ Ganztag? Wo sehen sie die Herausforderungen und was könnte als Erwachsenenhandeln folgen? Diesen Fragen ist das Fachforum 2: Guter Ganztag aus Kindersicht und Implikationen für das Leitungshandeln nachgegangen. Als Quintessenz zeigt sich, dass ein konsequenter Blick auf die Bedarfe der Kinder bei der Maßnahmenplanung in den Mittelpunkt gehört.
Eine Grundlage für die Diskussion war die Studie um die Autoren B. Walter, I. Nentwig-Gesemann und F. Fried (2021): Ganztag aus der Perspektive von Kindern im Grundschulalter. Mithilfe ihrer qualitativen Befragung konnten die Wissenschaftler/innen zeigen, dass vier Qualitätsebenen für Kinder besonders wichtig sind:
- die Gestaltung positiver pädagogischer Beziehungen (Kinderrechte berücksichtigen und achten- z.B. respektvoll, geschützt, mitbestimmt, fair, verständnisvoll),
- die Gestaltung positiver Peer-Kultur (Freundschaften finden, freie Orte schaffen, die sich die Kinder zu eignen machen dürfen, Raum für Austausch),
- die produktive Bearbeitung von Themen und Tätigkeiten (Raum für Unterhaltung, praktische Tätigkeiten) sowie
- die Erweiterung des Bildungsraumes in der Natur.
Dabei wurde die Verschränkung von informellen und formalen Bildungsorten und Freizeitwelten hervorgehoben. Die Bildungsverantwortlichen sollten einen Lebensort schaffen, an dem Bildungsprozesse, Wohlbefinden und Glück des Kindes im Zentrum stehen. Als Beispiel für diesen Versuch der kindorientierten Ganztagsbildung wurde das Projekt „Ganztag gemeinsam gestalten“ der Wübben Stiftung in Zusammenarbeit mit dem Land Berlin vorgestellt. Hier werden Leitungsteams in den Schulen professionell unterstützt ihre Ganztagsschule weiterzuentwickeln.
Schlussendlich wurden nach einer Gruppenphase unter der Fragestellung „Wie kann ein flächendeckend bedarfs- und kinderorientierter Ganztag gelingen?“ drei zentrale Forderungen an die Politik hervorgehoben: Konsequente Beteiligung der Kinder (Partizipation), Fördermittel an dem Vorhandensein von Kinderperspektiven knüpfen und mehr gute Bespiele in die Fläche tragen.
(Autorin: Dr. Prisca Menz, BMBF)
3. Fachforum | Sozialraumorientierung - ein passender Ansatz für Ganztagsschulen?
Prof. Dr. Felix Manuel Nuss | Fachbereich Sozialwesen, Soziale Arbeit, Katholische Hochschule Nordrhein-Westfalen, Abteilung Münster
Im 3. Fachforum zum Thema „Sozialraumorientierung“ wurde das große Potenzial eines sozialräumlichen Konzeptansatzes für ganztägige Bildungs- und Betreuungsangebote deutlich.
Sozialraumorientiertes Arbeiten ermöglicht einerseits eine Öffnung, Vernetzung und enge fachliche Kooperation der Schule mit unterschiedlichen Institutionen in der näheren und erweiterten Nachbarschaft und eine enge Zusammenarbeit der differenten Professionen im eigenen Haus. Andererseits geht mit der Sozialraumorientierung eine professionelle Haltung einher, mit der die Interessen, Bedürfnisse und der Wille der Schüler_innen zum Ausgangspunkt für außerunterrichtliche Aktivitäten und die Gestaltung von erweiterten Bildungssettings genommen werden.
Schüler_innen erleben sich in einer aktiven Gestaltungsrolle und Zielsetzungen wie Partizipation, Demokratiefähigkeit und selbstbestimmtes Lernen und Handeln erfahren durch „Sozialraumorientierung“ einen greifbaren konzeptionellen Gestaltungsrahmen.
4. Fachforum | Raumkonzepte für gelingenden Ganztag
Andrea Rokuß | Montag Stiftung Jugend und Gesellschaft
Die Referentin stellte das Projekt der Montag-Stiftung „Ganztag und Raum“ vor, welches Schulen dabei unterstützt, integrierte Nutzungskonzepte für ihre Räume zu entwickeln. Erklärtes Projektziel ist es, übertragbare Lösungen zu finden, die andere Schulen auch nutzen können. Um verschiedene Nutzungskonzepte für Schulen zu verdeutlichen, fand sie das Bild der Schule als „Wohnung“: Bei einer „Einraumwohnung“ steht jedes Klassenzimmer für sich. Es gibt kaum räumliche Synergien zwischen den Räumen – so etwa bei der „Flurschule“, der vorherrschenden Grundrissorganisation seit dem 19. Jahrhundert. Im Bild der Schule als „Wohngemeinschaft“ haben die einzelnen Lerngruppen ihren eigenen Raum als Rückzugspunkt, und darüber hinaus werden weitere Räume abwechselnd oder gemeinsam genutzt. In der „Wohnung“ werden den Räumen bestimmte Funktionen zugeordnet, z.B. ein „Leise-Raum und ein Laut-Raum“, ein „Instruktionen-Raum“, ein „Themenraum“ etc., und diese Räume werden gemeinschaftlich genutzt.
Am Beispiel der Martin-Schaffner-Schule in Ulm gab die Referentin Einblicke in einen Prozess, an dem sich die Schulgemeinschaft – Lehrkräfte und pädagogisch tätige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die Schulleitung, Schülerinnen und Schüler –, aber auch das Staatliche Schulamt, das Gebäudemanagement oder Schulpolitikerinnen und Schulpolitiker beteiligten. Was als ein vorsichtiges Herantasten an das Thema Raumnutzung begann, wurde dann sehr dynamisch: Im Laufe des Prozesses entschieden sich die Beteiligten dafür, einen umfangreichen Prozess der Schulentwicklung zu starten, in welchem auch das Bildungsverständnis, die multiprofessionelle Zusammenarbeit und die Zeitstrukturen des Schultages thematisiert wurde. Spannend war für die Teilnehmenden, ganz bildlich das Vorher-Nachher der Schule auf Fotos zu sehen: Wo vorher einzelne Klassenräume waren, fanden sich später „Themenräume“, das „Lehrerzimmer“ wurde zu einem Teamzimmer für alle Mitarbeitenden, das Außengelände wurde der öffentlichen Nutzung zugänglich gemacht.
Als Gelingensbedingungen für solche Prozesse formulierte die Referentin abschließend, dass es personelle und finanzielle Ressourcen, Verbindlichkeit, eine agile Haltung, eine Steuergruppe, Workshops, die Partizipation der Kinder sowie Interviews mit Schlüsselpersonen braucht.
Diskutiert wurde im Anschluss die Frage, ob sich mit Räumen aktuelle Probleme von Schulen lösen lassen. Hier war das Fazit: Räume alleine lösen keine Probleme, denn man müsse vorher wissen, was man mit den Räumen machen will (Phase 0). Gleichzeitig sollte der Raum mit Blick auf seine tatsächliche Nutzung später evaluiert werden: Wie wird er denn wirklich genutzt (Phase 10)?Weitere Diskussionspunkte berührten die gemeinschaftliche Nutzung von Räumen und Außenflächen der Schule in der Stadtteilgemeinschaft und die –teilweise schwierig umzusetzende- Anforderung, dass geöffnete Räume sicher und sauber bleiben. Lebhaft wurden auch die Unterschiede in den Ländern hinsichtlich einem Vorhandensein und der Nutzung von Lehrküchen und Mensen ausgetauscht.
Mehr Informationen zu Schulbau und Schularchititektur auf www.ganztagsschulen.org
5. Fachforum | Die Perspektive der freien Träger bei der Ausgestaltung vielfältiger Angebote
Judith Adamczyk, Referentin für Bildung und Erziehung, Tageseinrichtungen für Kinder beim AWO Bundesverband e.V.
Das Fachforum beschäftigte sich schwerpunktmäßig mit den Voraussetzungen für gelungene Kooperationen von freien Trägern mit Ganztagsgrundschulen.
Der ab dem Schuljahr 2026/27 in Kraft tretende Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung von Kindern im Grundschulalter ist im Sozialgesetzbuch VIII geregelt. Nach § 1 des SGB VIII hat jeder junge Mensch ein Recht auf Förderung seiner Entwicklung und auf Erziehung zu einer selbstbestimmten, eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit. Mit dem Rechtsanspruch werden als Ziele die Schaffung gleichwertiger Lebensverhältnisse, die Förderung von Bildungs- und Teilhabechancen sowie die Ermöglichung der Erwerbsbeteiligung der Eltern verbunden. Die Perspektive der Kinder bzw. was Kinder sich für den Ganztag wünschen, sollte Ausgangspunkt aller Überlegungen sein. Hierbei wurde auf die Studie von Frau Nentwig-Gesemann u.a. „Ganztag aus der Perspektive von Kindern im Grundschulalter“ aus dem Jahr 2021 verwiesen.
Auch wenn die Ganztagsmodelle in den Ländern vielfältig sind, konnten in dem Fachforum gemeinsame Gelingensbedingungen identifiziert werden. So wurden die Entwicklung eines gemeinsamen Bildungsverständnisses von Kinder- und Jugendhilfe und Schule im Ganztag sowie gut ausgebildete und genügend Fachkräfte als zentrale Voraussetzungen genannt.
Für eine gelingende Kooperation sind entsprechende Regelungen bzw. Finanzierungsmodelle notwendig, damit Fachkräfte kooperieren und Zeit dafür haben. Der Einsatz von pädagogischen Fachkräften am Vor- und Nachmittag wurde als sinnvoll angesehen.
Für eine weitere wissenschaftliche Vertiefung wurde auf die sechs praxisnahen Handreichungen des DIPF, die aus dem Projekt „Wissenschaftsgeleiteter Qualitätsdialog zum Ganztag“ entstanden sind, verwiesen. Im Rahmen einer kleinen Ausstellung wurde verschiedene Beispiele von Kooperationen freier Träger mit Ganztagsschulen aus ganz Deutschland präsentiert.
6. Fachforum | Schulträger im ländlichen Raum. Gestaltungsmöglichkeiten des Bildungsbüros im Ganztag
Carmen Dialer | Transferagentur Bayern für Kommunales Bildungsmanagement
Dr. Carolin Jürgens | Landratsamt Mühldorf a. Inn, Lernen vor Ort
Beide Referentinnen stellten die aktuelle Lage im ländlichen Raum Bayerns aus der übergeordnet-beratenden Perspektive der Transferagentur und der konkreten Umsetzungsperspektive des Landratsamtes im Landkreis Mühldorf am Inn vor. Aus ihrer Sicht habe sich deutlich gezeigt, wie hilfreich eine Beratungsstruktur ist. Die Transferagentur wird aus Mitteln der Transferinitiative Kommunales Bildungsmanagement des BMBF finanziert. Das Förderprogramm „Lernen vor Ort“ entsprang einer Initiative des BMBF aus dem Jahr 2009, in Kreisen und kreisfreien Städten ein kohärentes kommunales Bildungsmanagement und die Vernetzung von Bildungsorten zu stärken. Im Zusammenhang damit wurden vielerorts Regionale Bildungsbüros gegründet.
Die Transferagentur berichtete, dass derzeit vielerorts zur Vorbereitung des Rechtsanspruchs auf Ganztag für Kinder im Grundschulalter eine Bedarfsermittlung stattfinde. An einigen Orten hat die Verwaltung auch bereichsübergreifende Steuerungsgruppen eingesetzt, um die notwendige Planung zu beginnen. Wo Qualitätsdebatten stattfinden, werde bereichsübergreifend und öffentlich diskutiert. Der Landkreis Mühldorf am Inn hat alle konkreten Fragen schon im Blick und empfiehlt aus der eigenen Erfahrung: die örtlichen Gegebenheiten zu analysieren und Verantwortung zu klären, aber nicht erst loszulegen, wenn alles bis ins Detail geklärt sei, sondern mit den einfachen Dingen zu starten. Außerdem sei der Austausch mit anderen Kommunen sinnvoll, da diese durch den Rechtsanspruch schließlich in der gleichen Lage seien.
Im Verlaufe des Forums arbeiteten die Teilnehmenden drei zentrale Herausforderungen für ländliche Regionen heraus: 1) den schon bestehenden und absehbar noch dringlicher werdenden Fachkräftemangel, 2) die notwendige Infrastruktur, die im ländlichen Raum auch den Schulbus oder den ÖPNV umfasse, um Lernorte zugänglich zu machen sowie 3) die Klarheit der Zielstellung, auf die sich Schulträger und Schulleitungen verständigen müssen. Klar wurde anhand des Beispiels eines anderen Flächenlandes darüber hinaus, dass Vorgaben nicht zu detailliert sein dürfen, weil sonst ggf. langjährige Kooperationspartner für den Ganztag verloren gingen.
7. Fachforum | Ganztagsbildung und -betreuung aus Sicht der Kinder- und Jugendhilfe –
Chancen und Herausforderungen
Prof. Dr. Markus Sauerwein | Hochschule Nordhausen
26.04.2023 | Fachforen - Runde II (16:00 - 17:30 Uhr)
8. Fachforum | Nachhaltige Bildungskommunen als Chance für den Ganztag
Klaus Schilling | Bundeskoordinator der UNESCO-Projektschulen, Deutsche UNESCO-Kommission
Dr. Dominic Larue | Referat 333 „Bildung in Regionen; Bildung für nachhaltige Entwicklung“, Bundesministerium für Bildung und Forschung
Katja Schöne | Abteilungsleiterin Bildungsmanagement und -planung der Stadt Kassel
Das Fachforum beschäftigte sich mit dem ESF-Plus-Förderprogramm „Bildungskommunen“ des BMBF. Es wurde deutlich, dass sich Bildungskommunen gerade auch als Chance auch für die Umsetzung des Rechtsanspruchs auf Ganztag für Grundschulkinder begreifen lassen. Bildungskommunen gestalten ihre Bildungslandschaft strategiegeleitet und datenbasiert gemeinsam mit Bildungsakteuren vor Ort. So können sie den Ganztag ganzheitlich als zentrales Bildungsangebot in die – analog und digital – vernetzte Bildungslandschaft integrieren.
Aus der Praxis berichtete zunächst die Vertreterin der Stadt Kassel. Kassel nimmt seit November 2022 am ESF-Programm „Bildungskommunen“ teil („Kassel bildet Zukunft“). Ziel ist eine datengestützte, thematische und analoge wie digitale Weiterentwicklung der Bildungslandschaft. Dazu werden handlungsfeldbezogene Umsetzungspläne für den Erwerb von Zukunftskompetenzen, beispielsweise für digitale Bildung und Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE), entwickelt. BNE wird im Ganztag an Kasseler Grundschulen verankert: So werden im Rahmen des Pilotprojekts „Grüner Ganztag“ verlässliche Kooperationspartnerschaften gestärkt und Lernerfahrungen in und mit der Natur auf einem „Lernhof Natur und Geschichte“ des Diakonischen Werks ermöglicht. BNE soll so als pädagogisches Prinzip über Kooperationen mit BNE-Lernorten im Ganztag der Grundschulen strukturell verankert werden.
Praxisimpulse zum „Whole School Approach“ für nachhaltige Bildungskommunen lieferte anschließend der Bildungskoordinator der Deutschen UNESCO-Kommission am Beispiel der UNESCO-Projektschulen. Bei diesem Konzept geht es darum, Maßnahmen für eine nachhaltige Entwicklung zu ergreifen, um Bildungseinrichtungen selbst zu transformieren. Der „Whole Institution Approach“ erfordert Lern -und Lehrumgebungen, in denen die „Lernenden lernen, wie sie leben, und leben, was sie lernen“ (Beispiel: Klimaparlamente und Klimastationen von Schülerinnen und Schülern, Umweltzentren als Beratungsstellen für ökologische Bildung an Schulen, Schultagungen zu klimaresilienter Stadtplanung).
(Autorin: Stella Hornbostel, BMBF)
BMBF - Förderrichtlinie "Bildungskommunen"
Umweltbildung und Nachhaltigkeit auf www.ganztagsschulen.org
9. Fachforum | Das SWK-Gutachten „Basale Kompetenzen vermitteln – Bildungschancen sichern. Perspektiven für die Grundschule“ Bildungschancen im inklusiven Ganztag – Multiprofessionelle Kooperation als Gelingensbedingung
Prof. Dr. Birgit Lütje Klose | Professorin für Schulische Inklusion und sonderpädagogische Professionalität Universität Bielefeld und Mitautorin des Gutachtens
Prof. Dr. Thomas Coelen | Department Erziehungswissenschaften Universität Siegen
Mit Spannung erwarteten jene, die es noch nicht kannten, die Vorstellung des Gutachtens „Basale Kompetenzen vermitteln – Bildungschancen sichern. Perspektiven für die Grundschule“ der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission der Kultusministerkonferenz (SWK). Es empfiehlt wichtige Maßnahmen zur Weiterentwicklung der Grundschule. Zentral ist die Konzentration auf basale Kompetenzen wie zum Beispiel Lesen, (Recht-)Schreiben und Mathematik, denn zwischen 18 und 22 Prozent der Schülerinnen und Schüler erreichen die Mindeststandards in Deutsch und Mathematik in der Grundschule nicht, womit auch die Qualität des Lernens angesprochen ist.
Mitautorin Birgit Lütje-Klose, Professorin für Schulische Inklusion und sonderpädagogische Professionalität an der Universität Bielefeld, erinnerte daran, „wie wichtig Schule ist. Dazu gehören Lehrkräfte und pädagogisches Personal“. Der Blick müsse sich besonders auch auf Kinder aus sozial benachteiligten Familien richten, daher sei ein Sozialindex für die finanzielle Ausstattung von Schulen der richtige Weg. Sie hob die Beziehungen zwischen Lernenden, Lehrenden und pädagogischem Personal hervor.
„Der Ganztag sollte immer Teil eines Netzes rund um Familie und Kind sein.“ Eine Voraussetzung erfolgreicher Bildung und Erziehung stelle eine gute Kooperation der Professionen dar. Alle Beteiligten müssten sich darauf verlassen, dass die jeweils „andere Sichtweise auch wichtig und richtig ist“, und bereit sein, Teile der eigenen Autonomie abzugeben. Sie unterstrich das Kernfazit des Gutachtens: „Die Gesellschaft muss Prioritäten anders setzen.“
Zugeschaltet war Prof. Dr. Thomas Coelen von der Universität Siegen, der unter anderem zu Ganztagsgrundschulen geforscht hat. „Miteinander der Professionen“ bedeute nicht, mahnte er, dass „alle alles gleichzeitig nur an einem anderen Ort tun“. Es gehe auch darum, anzuerkennen, dass die jeweils andere Profession etwas besser kann. Entscheidend sei eine klare Zielabsprache. Wörtlich meinte er: „Kooperationen können gut sein, wenn sie zu einer Bereicherung der Handlungsoptionen führen.“ Man dürfe aber auch „nein“ zu einer Kooperation sagen. Wenn beispielsweise das Talent-Scouting eines Vereins überhandnehme, dürfe man sich davon auch verabschieden. „Das stimmt“, bestätigte ein Teilnehmer, „wir dürfen nicht zu jedem Angebot ja sagen, nur um eine Lücke in den Angeboten zu füllen.“
Bericht übernommen mit Zustimmung der Online-Redaktion von ganztagsschulen.org: Stephan Lüke: Ganztagskongress 2023: "Es geht um die Kinder". 04.05.2023.
10. Fachforum | Inklusiver Ganztag
Prof. Dr. Ada Sasse | Humboldt-Universität zu Berlin
In dem Fachforum wurden zwei Anforderungen unserer Zeit, Inklusion und Ganztag, miteinander sinnhaft verbunden. Die Referentin legte dar, dass das, was gute Schulen ausmacht, für Inklusion und Ganztag gleichermaßen gilt. Wie eine integrative/inklusive Schule funktionieren kann, ist seit den 1980er Jahren bekannt, etwa durch die Umsetzung an einzelnen Schulen, die sich auf den Weg machten, und durch schulübergreifenden Schulversuche. Dabei wurde schon früh erkannt, dass Integration/Inklusion am besten im Ganztagsbetrieb funktioniert. Weil die klassische Halbtagsschule in ihren Strukturen unterkomplex ist, um der Komplexität einer heterogenen Schülerschaft adäquat zu begegnen. Ein wesentliches didaktisches Element, um der Heterogenität von Lerngruppen zu entsprechen, ist der Wechsel von Sozialformen (Einzelarbeit, Partnerarbeit, Gruppenarbeit, Plenum). Das ist in einer ganztägigen Schule mit einer Rhythmisierung der Zeitstrukturen jenseits der 45-Minuten-Unterrichtsstunde deutlich leichter umzusetzen. Im Ganztag wie in der inklusiven Schule braucht es eine professionsübergreifende Kooperation. Hier sei es notwendig, dass alle im Team die gemeinsame pädagogische Verantwortung für alle Kinder (ob mit oder ohne attestierten Förderbedarf) erkennen und wahrnehmen.
In der anschließenden Diskussion wurden von einigen Teilnehmenden derzeitige „Schieflagen“ angesprochen: Lehrkräfte versuchen oftmals unter Bedingungen der Ressourcenknappheit (hinsichtlich Zeit, Personal, große Klassengrößen etc.), Teilhabe aller Schülerinnen und Schüler zu ermöglichen. Sie versuchen oftmals als Einzelkämpfer, Situationen zu bewältigen, die auf Kooperation angelegt sind. Wie von der Referentin dargestellt können Schulentwicklungsprozesse Strukturen schaffen, die Kooperation ermöglichen, Rollenverständnisse weiterentwickeln und sozu einer Entlastung der einzelnen Mitarbeitenden führen. Dass es gelingen kann, zeigt die Forschung der letzten 40 Jahre zu integrativen/inklusiven Schulen im Ganztagsbetrieb.
Ganztagsschulverband im Zeichen der Inklusion
„Auf die Individualität der Schülerinnen und Schüler einlassen“
„Ganztag und Inklusion müssen zusammengehören“
11. Fachforum | Kooperative Ganztagsbildung in der Stadt München
Arnold Schweitzer | Bereichsleiter KINDERSCHUTZ MÜNCHEN
Leonhard Baur | Leiter des Geschäftsbereichs Allgemeinbildende Schulen im Referat für Bildung und Sport der Landeshauptstadt München
Norbert Ziegler | Landeshauptstadt München
Was ist Kooperative Ganztagsbildung (KoGa)?
Es handelt sich um ein Ganztagsmodell in München, welches von der Landeshauptstadt München zusammen mit dem Freistaat Bayern für Kinder im Grundschulalter konzipiert wurde. Das Modell startete im Schuljahr 2018/2019 an einer Schule und umfasst im Schuljahr 2022/2023 26 von 141 Münchner Grundschulen.
Leitend für die Umsetzung waren die Ziele Schule als Lern- und Lebensort zu entwickeln und das gemeinsame Mittagessen in der Mensa als Interaktionsort zu verstehen. In der Umsetzung zeigt sich, dass sich der klassische Hort auf Grund der neuen Anforderungen verändern muss. Träger haben sich umorientiert, um ein in die Zukunft ausgerichtetes und an den Bedarf angepasstes Angebot vorhalten zu können. Darüber hinaus versteht sich KoGa als staatlich-kommunale Verantwortungsgemeinschaft (auf finanzieller, pädagogischer und organisatorischer Ebene), welche von einem von Schule und Jugendhilfe gemeinsam getragenen Bildungs- und Erziehungsauftrag getragen wird. Pädagogische Konzepte für den ganzen Tag werden individuell auf den jeweiligen Schulstandort zugeschnitten und mit den Vorteilen bisheriger Betreuungsformen im Ganztag verknüpft.
Wie ist die KoGa hinsichtlich ihrer Steuerung organisiert?
Grundschule und freier oder städtischer Träger setzen die KoGa gemeinsam um und bilden eine Verantwortungsgemeinschaft für den ganzen Tag. Die einzelnen Verantwortungsbereiche im Kooperativen Ganztag werden in einem Kooperationsvertrag zwischen Grundschule und Träger geregelt. Zu den Regelungspunkten gehören das partnerschaftliche Zusammenwirken zwischen Trägervertretung und Schulleitung, die Doppelnutzung des Schulgeländes für Unterrichts- und Ganztagsangebote und auch Unterstützung bei den Verwaltungsaufgaben. Das gesamte Schulgelände wird als gemeinsamer Campus so flexibel wie möglich genutzt. Alle Räume dienen der Ausgestaltung des Ganztags und eines vielseitigen pädagogischen Angebots. Eine ganztagsgerechte Ausstattung mit innovativem Mobiliar unterstützt die Umsetzung neuer Ideen und Konzepte hinsichtlich der gemeinsamen Raumnutzung und -gestaltung.
Wie sieht die Ausgestaltung des KoGa aus?
Eltern können zwischen zwei Varianten wählen, der rhythmisierten und der flexiblen Ganztagsbetreuung. Bei der rhythmisierten Variante wechseln die Kinder erst ab 16 Uhr in die flexiblen Gruppen (Abweichungen freitags und in den Ferien). Hingegen erfolgt bei der flexiblen Variante die außerunterrichtliche Betreuung in klassen- und jahrgangsübergreifenden Gruppen mit flexiblen Abholzeiten (keine Mindestbuchungszeit), Kernzeiten können vereinbart werden. Der Austausch im Fachforum zeigte, dass es Akteure braucht, die gemeinsam an einem Strang ziehen und das Kind in den Mittelpunkt stellen. Abschließend wurde die Grundschule in der Waldmeisterstraße in München exemplarisch vorgestellt.
Kooperative Ganztagsbildung in der Stadt München
Kooperative Ganztagsbildung: Grundschule Bauhausplatz
Kooperation im Ganztag: „nochmal eine andere Qualität“
12. Fachforum | Ganztag in gemeinsamer Verantwortung von formaler und non-formaler Bildung
Julian Lagemann | Deutsche Sportjugend im Deutschen Olympischen Sportbund e. V.
Prof. Dr. Susanne Keuchel | Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung e. V. (BKJ)
Professorin Keuchel startete das Fachforum mit einem Impulsvortrag mit einer Übersicht über die Bedeutung kultureller Bildung als Baustein non-formaler Bildung im Ganztag. Dabei wurde für ein gutes Gelingen der Stärkung non-formaler Bildung im Ganztag die Bedeutung von Kooperationen hervorgehoben. Kindern sollten im Ganztag Räume für eigene Interessen geschaffen werden, um die Vielfalt der Bildungsebenen anzuerkennen und auch zu ermöglichen.
Julian Lagemann hob in seinem anschließenden Vortrag hervor, dass Bewegung, Spiel und Sport ein unverzichtbarer Bestandteil des schulischen Bildungsangebots seien und sich daraus eine Notwendigkeit zur Schaffung von entsprechenden Rahmenbedingungen ergibt. Es sollte ein gemeinsames Bildungsverständnis entwickelt werden, um die Systeme formaler und non-formaler Bildung zu verzahnen. Qualitätsentwicklung und -ausgestaltung können im Ganztag nur in gemeinsamer Verantwortung – durch Kooperationen, Austausch durch Länder/Kommunen sowie de Ermöglichung partizipativer Qualitätsprozesse – erfolgen.
Im Anschluss konnten sich die Teilnehmenden im Format des World-Cafés über die Themen Teilhabegerechtigkeit, Synergien eines gemeinsamen Bildungsverständnisses, Anforderungen an die außerschulischen Partner sowie Vielfalt durch kommunale Steuerung austauschen und diskutieren.
13. Fachforum | Der Rechtsanspruch im ländlichen Raum
Tobias Klag und Stephan Bachmann | Ministerium für Bildung Rheinland-Pfalz
Ralf Eckert | Sächsisches Staatsministerium für Kultus
Dr. Stephan Bloße | Landesamt für Schule und Bildung
Die Umsetzung des Rechtsanspruchs im ländlichen Raum stellt Länder und Kommunen vor eigene Herausforderungen. Wie sie damit umgehen, haben die Länder Rheinland-Pfalz und Sachsen vorgestellt.
Zentrales Thema der Diskussion im Fachforum war der öffentliche Personennachverkehr in ländlichen Regionen. Große Entfernungen und fehlende Verbindungen erschweren die Zusammenarbeit mit außerschulischen Partnern. Wie können Distanzen verringert werden? Denkbar sind mobile Angebote, die zu den Schüler:innen kommen oder Räumlichkeiten von (Partner-)Einrichtungen für Angebote ganztägiger Bildung und Betreuung nutzen. Auch die flexiblere Organisation des Schüler*innentransports sowie ein Ausbau des ÖPNVs würden helfen.
Im ländlichen Raum ist der Fachkräftemangel eine große Herausforderung. Im Fachforum wurden verschiedene Ansatzpunkte diskutiert: Erhöhung der Wochenarbeitsstunden von Fachkräften im offenen Ganztag zur Vermeidung von prekären Arbeitsverhältnisse, Ausbildung und Qualifizierung von Mitarbeitenden direkt an den Schulstandorten, enge Kooperation der Ausbildungseinrichtungen und attraktive Arbeitsbedingungen durch fachlich interessante Aufgaben und Arbeitsgestaltung. Beratungsstellen, an die sich Ganztagseinrichtungen oder potenzielle Fachkräfte wenden können, wären auch eine Möglichkeit.
Insbesondere im ländlichen Raum sind die Bedingungen vor Ort sehr unterschiedlich. Ein fester Qualitätsrahmen mit Gestaltungsfreiheiten für die Schulen vor Ort könne ergänzt werden durch ein umfassendes Beratungs- und Unterstützungsangebot, so wie beispielsweise das Fachreferat im Ministerium für Bildung Rheinland-Pfalz neu eingerichtete Ganztagsschulen kontinuierlich begleitet.
Fotodokumentation zum Download
14. Fachforum | Zusammenarbeit mit Eltern
Prof. Dr. Julia Lepperhoff | Soziale Arbeit, Evangelische Hochschule Berlin
Auch in diesem Fachforum wurde klar: Schule und Jugendhilfe kommen von unterschiedlichen „Planeten“, sehen Eltern sehr unterschiedlich und gehen entsprechend verschieden mit ihnen um. Wie in allen interdisziplinären Kooperationen müssen die Akteure eine gemeinsame Sprache, Sichtweise und Haltung finden. Spannungen zeigten sich, so die Referentin, auch konkret: Während Begrifflichkeiten und Methoden öfter aus dem Bereich der Kinder- und Jugendhilfe kommen, beklagt die Sozialarbeit gleichzeitig, von der Schule zu selten auf Augenhöhe gesehen und einbezogen zu werden. Aus Sicht der Jugendhilfe und der Sozialen Arbeit können die Chancen der Kinder nur verbessert werden, wenn zugleich die Erziehungs- und Bildungskompetenzen der Eltern gestärkt werden, da der Wirkfaktor „Familie“ sehr bedeutsam sei. Für Schulen hingegen sind Eltern zuerst einmal „Externe“, in den seltensten Fällen begreifen sich Schulen auch als Lernorte für Eltern. Der Ganztag werde nach Sicht der Referentin die Schulen tendenziell weg von altersgleichem Lernen nach Stundenplan und hin zum Lernen in gemischten Teams sowie zu einer Öffnung in die lokale Bildungslandschaft bringen. Dann könnten Schulen auch zu familienunterstützenden Einrichtungen werden. Dazu müssten aus ihrer Sicht die personellen und strukturellen Rahmenbedingungen „geweitet“ werden. In vier Ländern gebe es bereits vielfältige Modelle zur „Begleitung der Eltern von Ganztagsgrundschulkindern“. Aus der Erfahrung des ESF-Plus Programms Elternchancen sieht die Referentin es als wichtig an, dass Angebote für Familien flächendeckend im Ganztag mitgedacht werden.
ESF-Plus Programm Elternchancen: Kompetenzteam „Frühe Bildung in der Familie“
27.04.2023 | Fachforen - Runde III (10:15 - 12:15 Uhr)
15. Fachforum | Qualitätsentwicklung und Steuerung im Ganztag
Prof. Dr. Ivo Züchner, Universität Marburg
Detlef Diskowski, ehemals Ministerium für Bildung, Jugend und Sport des Landes Brandenburg
Bei dem Fachforum standen Erfolgsfaktoren der Prozessgestaltung im Vordergrund. Als zentrale Fragen wurden genannt:
- Wie und wo wird (erfolgreich) gesteuert und Qualitätsentwicklung betrieben?
- Was braucht es bzw. was muss entwickelt werden, um auf Ebene von Schule/Hort steuern und Qualität entwickeln zu können?
Dabei wurde auf die notwendige Unterscheidung von Trägern und Kooperationspartnern, die jeweils unterschiedliche Verantwortlichkeiten haben, hingewiesen.
Auch muss zwischen verschiedenen Ganztagsmodellen unterschieden werden, die bundesweit sehr vielfältig sind. Grob kategorisiert wurden Grundschulen, Horte (z.B. eigenständige Horte, mit Schulen kooperierende Horte oder Schulhorte (z.B. Thüringen)) sowie Übermittagsbetreuungen.
Als Ziele der Steuerung wurden u.a. genannt
- Rhythmisierung im Ganztag
- Ganztagsentwicklung (Frage: sind Kooperationspartner auch daran beteiligt?)
Für die Steuerung ist entsprechendes Planungswissen (z.B. gute Datenlage) unerlässlich. Entscheidend ist das Vorliegen eines Konzepts. Im Rahmen eines Konzeptes sollten Verantwortlichkeiten klar geregelt werden, um beispielsweise die „Verselbstständigung“ von Prozessen zu verhindern. Die entsprechende Umsetzung erfolgt vor Ort bzw. wird hier „individuell mit Leben gefüllt“. Als Steuerungsebenen wurden das Land, die Schulaufsicht und Schulämter sowie Grundschule bzw. der Hort genannt. Standards sind nicht nur zu entwickeln, sondern auch zu sichern und zu überprüfen (z.B. durch Landesgesetze, Überprüfung durch Landesministerien). Eine Vertreterin aus Hamburg nannte ein geplantes Pilotprojekt, wonach die Schulinspektion den Ganztag einbezieht.
Als ein Erfolgsfaktor wurden eine aufeinander abgestimmte Kinder- und Jugendhilfeplanung sowie Schulentwicklungsplanung genannt. Bei der Umsetzung von Ganztagsmodellen sind zudem Beratung bzw. Begleitung sinnvoll, hier wurden beispielsweise Serviceagenturen, Bildungsbüros und Landesinstitute für Schulentwicklung genannt.
Bei der Entwicklung und Umsetzung von Ganztagsmodellen sind unterschiedliche Ausgangsbedingungen vor Ort (z.B. ländlicher Raum) zu berücksichtigen, war ein weiteres Fazit.
16. Fachforum | Kooperation Jugendarbeit und Schule - Quo vadis Offene Kinder- und Jugendarbeit?
Stefan Melulis, Hendrik Meyer | Arbeitsgemeinschaft Offene Türen in Nordrhein-Westfalen e.V.
Die Arbeitsgemeinschaft Offene Türen (AGOT) e.V. ist als gemeinnütziger Verein in NRW als Träger der freien Jugendhilfe anerkannt ist und wird durch das Ministerium für Familie, Kinder, Jugend und Sport des Landes NRW gefördert. Im Fachforum wurden zuerst folgende Fragen diskutiert:
- Was tut ein landeseigener Träger bezüglich der Umsetzung von Jugendarbeit vor Ort?
- Können kleine Träger geäußerte Bedarfe überhaupt erfüllen?
Zu diesen Fragen wurde das einhellige Fazit gezogen, dass sich die kommunale Schullandschaft hinsichtlich der Einführung des Rechtsanspruchs auf Ganztagsbetreuung großen Herausforderungen gegenübersieht, beispielsweise in den Bereichen Personal oder Räumlichkeiten. Für die Träger der Kinder- und Jugendhilfe stellt sich bei der Etablierung kommunaler Ganztagsangebote in offener Form die Frage, ob sie in die Gestaltung der Angebotsstruktur einsteigen können, wollen und soll(t)en. In NRW kann die „Handreichung zur Kooperation der Offenen Kinder- und Jugendarbeit mit Schule“ bei der Entscheidungsfindung unterstützen.
Durchgeführt wurde ein Rollenspiel, in welchem, die Einrichtung eines offenen Ganztagsangebots an einer Schule in einer gedachten Kommune diskutiert und die Teilnehmenden dieses Fachforums aktiv eine bestimmte Rolle (Trägervertretung/Einrichtung KJH, Schulleitung, Leitung des offenen Ganztages oder Schulamt) einnahmen. Die Trägervertretung sollte das Interesse an der Übernahme eines Ganztagsangebots unter Benennung der leistbaren Konditionen darstellen. Die Schulleitung sollte die Anforderungen an den Ganztag aus der Schulperspektive skizzieren. Das Schulamt sollte formale Vorgaben gegenüber den Akteuren benennen und deren Einhaltung sicherstellen. Die Leitung des offenen Ganztags schließlich sollte Qualitätsansprüche formulieren. Zwischen Diskussionen ob der unterschiedlichen Ganztagsangebote bzw. deren Ausgestaltung in NRW, Berlin, Thüringen und Hamburg, erfolgte die Gruppenarbeit in Kleingruppen. In der anschließenden Diskussionsrunde zwischen den Akteursgruppen wurden folgende Aspekte als insgesamt besonders wichtig herausgestellt:
- Neben stabilen Personalverhältnissen und guten Arbeitsbedingungen ist auch eine Öffnung in den Sozialraum wichtig.
- Räumlichkeiten sollten vorwiegend innerhalb der Schule genutzt werden, diesbezüglich ist eine enge Koordination mit der Schulleitung wichtig
- Versicherungsschutz besteht durch die Unfallkasse
- Die Implementierung von Kommunikationsstrukturen zwischen dem Team der offenen Kinder- und Jugendarbeit und dem Lehrkräfteteam soll auf Augenhöhe erfolgen (z. B. „Kollegiumszimmer“ statt „Lehrerzimmer“)
- Für den Träger der außerunterrichtlichen Angebote braucht es Sicherheiten (bspw. bei Schulleitungs- oder Bürgermeisterwechsel), die ein Kooperationsvertrag gewährleistet.
Natürlich reichte die Zeit nicht, um auf alle Aspekte einzugehen, sodass sich innerhalb des Rollenspiels auch gleich auf die Fortführung der Diskussion in einem fiktiven Folgetermin verständigt wurde, was nur zeigt, dass es ein lebhafter und konstruktiver Austausch im Fachforum war. Ein Satz spiegelte die wahrgenommene Realität: „Ganztag, wie er heute gelebt wird, hat eines gemeinsam: Er wird überall anders gelebt.“
Ganztagsschule im Sozialraum: „Café Ziegler“ in Mülheim
17. Fachforum | Ganztägige Bildung und Betreuung – rechtliche und organisatorische Rahmenbedingungen im Land Berlin
Ines Rackow | Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie, Berlin
Das Land Berlin hat vor fast 20 Jahren begonnen alle Grundschulen zu Ganztagsschulen weiterzuentwickeln. Startpunkt war eine bildungspolitische Grundsatzentscheidung im Jahr 2004 und deren gesetzliche Verankerung ein Jahr später. Inzwischen bieten alle Grundschulen von 6:00 Uhr bis 18:00 Uhr an allen Schul- und Ferientagen ein Bildungs- und Betreuungsangebot an. Unterstützt wurde diese Entwicklung durch bundesweite Investitionsprogramme, wie zum Beispiel dem IZBB (Investitionsprogramm Zukunft, Bildung und Betreuung) und der Bundesförderung der Serviceagenturen „Ganztägig lernen“.
Im Laufe der Jahre sind verschiedene Schulentwicklungsmaßnahmen eingeleitet worden, um die Qualität der Ganztagsschulen zu stärken. Wichtig waren insbesondere die Unterstützungs- und Beratungssysteme. Hierzu zählen sowohl programmatische Arbeiten wie das Berliner Bildungsprogramm für die offene Ganztagsschule, das gemeinsam mit der LIGA der Spitzenverbände der freien Wohlfahrtspflege, dem Dachverband Berliner Kinder- und Schülerläden e.V. (DaKS) und unter Mitwirkung eines Beirats mit großer wissenschaftlicher Expertise entwickelt wurde. Das Bildungsprogramm wurde 2021 durch Qualitätsstandards abgelöst, die im Schulgesetzt verankert wurden.
Aber auch die Verstetigung der Regionalstelle Berlin der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung als Serviceagentur Ganztägig Lernen (SAG) war ein wichtiger Schritt. Die SAG steht den Schulen beratend und unterstützend bei der Entwicklung und Umsetzung ihres Ganztagsschulkonzepts zur Seite.
Im Jahr 2010 wurden auch die weiterführenden Schulen (Sekundarstufe I) zu Ganztagsschulen umgewandelt. Sie erhielten ein Ganztagsbudget und entwickeln eigenverantwortlich ihre Ganztagsangebote innerhalb des Orientierungsrahmen für den Ganztag in der Sekundarstufe I „Ganztägig lernen – Eckpunkte für gute Ganztagsschulen“. Seit 2019 erhalten alle Kinder in der Primarstufe ein kostenbeteiligungsfreies Mittagessen.
Aktuell lernen ca. 300.000 Schülerinnen und Schüler im Schuljahr 2022/23 an Berliner Ganztagsschulen. Alle Grundschulen, alle sonderpädagogischen Förderzentren und alle integrierten Sekundarschulen in Berlin sind Ganztagsschulen mit Öffnungszeiten von 6:00 Uhr bis 18:00 Uhr, sowie ca. die Hälfte aller Gymnasien.
Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie - Ganztagsschulen
18. Fachforum | Kindliche Zeitpraktiken im Ganztag
Dr. Tilmann Wahne | Institut für Sozialarbeit und Sozialpädagogik der Leuphana Universität
Dr. Wahne begann das Fachforum „Kindliche Zeitpraktiken im Ganztag“ mit einem Impulsvortrag. Darin ging Dr. Wahne unter anderem auf die institutionelle Zeitverdichtung im Schulalltag ein und beschrieb das Einwirken gesellschaftlicher Zeitordnungen auf die Schule. Darüber hinaus veranschaulichte Dr. Wahne, dass Kinder ein anderes Zeitbewusstsein haben als Erwachsene (Gegenwartsperspektive./.Zukunftsperspektive). So stellte er gezielt die Perspektive der Kinder in den Mittelpunkt seines Vortrages. Einschlägige Forschungsbefunde zu kindlichen Zeit- und Alltagspraktiken in institutionellen Kontexten wurden dabei vorgestellt.
Im Rahmen von Gruppenarbeiten wurden im Anschluss vier Zielsetzungen von den Teilnehmenden näher betrachtet: Quantitativ ausreichende Verfügbarkeit für eigene Zeitbedürfnisse, Kollektive Zeiten ausreichen realisieren, Möglichkeit eines hohen Ausmaßes an selbstbestimmter Zeit, Entdichtung von Zeit erreichen.
19. Fachforum | Ganztagsbildung im ländlichen Raum – Besonderheiten und Chancen mit Praxisbeispielen aus Sachsen-Anhalt
Anna Margarete Davis, Leitung Programme Deutsche Kinder- und Jugendstiftung
Claudia Köhler, Deutsche Kinder- und Jugendstiftung
Susanne Pilz, Serviceagentur Ganztag Sachsen-Anhalt
Speziell um die Ganztagsbildung im ländlichen Raum drehte sich das Fachforum mit Anna Margarete Davis von der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung und Susanne Pilz von der Serviceagentur Ganztag Sachsen-Anhalt. Sie plädierten für eine „Verantwortungsgemeinschaft“, die möglichst viele Akteure im Sozialraum einbindet. Dafür präsentierten sie konkrete Praxisbeispiele wie den Regionaldialog „Von der Einzelschule zum regionalen Netzwerk“.
Die Serviceagentur Sachsen-Anhalt begleitet Schulen beispielsweise in der Startphase eines solchen Prozesses und moderiert jeweils die Auftaktveranstaltung, zu der wichtige Akteure der Region, inklusive Bürgermeister oder Bürgermeisterin, eingeladen werden. Zwei Stunden werden maximal für solche Treffen, die in der Folge regelmäßig, stattfinden, vorgesehen. Susanne Pilz: „So schaffen Sie Sensibilität. Sie glauben gar nicht, wie viele Menschen hinterher gestehen, wie wenig sie vom anderen und seinen Möglichkeiten wussten. Und plötzlich nimmt jemand, der vorher nicht daran gedacht hat, Schüler Fritz als Praktikanten.“
Der Text wurde mit Zustimmung der Online-Redaktion von ganztagsschulen.org übernommen: Stephan Lüke: Ganztagskongress 2023: "Es geht um die Kinder". 04.05.2023. in: https://www.ganztagsschulen.org/de/kooperationen/kinder-und-jugendhilfe/ganztagskongress-2023-es-geht-um-die-kinder.html. Datum des Zugriffs: 15.05.2023
20. Fachforum | Praktische Umsetzung einer ausgewogenen und nachhaltigen Schulverpflegung
Diana Reif | Leiterin der Vernetzungsstelle Schulverpflegung Niedersachsen der Deutsche Gesellschaft für Ernährung
Dr. Kerstin Clausen | Referentin im Nationalen Qualitätszentrum für Ernährung in Kita und Schule
Die Referentinnen stellten zunächst das Nationale Qualitätszentrum für Ernährung in Kita und Schule (NQZ) und die Vernetzungsstellen Schulverpflegung in den Bundesländern vor. Das NQZ ist 2016 gestartet mit der Aufgabe der Koordination und Weiterentwicklung von Maßnahmen und Initiativen rund um gutes Essen in Kindertagesbetreuung und Schule auf Bundesebene. Das NQZ bietet Fortbildungen an, bspw. in einer Web-Seminarreihe über den Beschaffungsprozess von Schulverpflegung, und stellt Leitfäden zur Verfügung.
Die Vernetzungsstellen Kita- und Schulverpflegung, die im Rahmen des
Nationalen Aktionsplan „IN FORM - Deutschlands Initiative für gesunde Ernährung und mehr Bewegung“ gestärkt wurden, gibt es schon seit 2008 in den Ländern. Sie sind Ansprechpartner für die Akteure vor Ort und beraten zum DGE-Qualitätsstandard für die Verpflegung in Schulen. Bisher gibt es in 5 Ländern verpflichtende Qualitätsstandards für Schulverpflegung: Saarland, Berlin, Thüringen, Hamburg und Bremen.
Deutlich wurde in dem Fachforum die Bedeutung eines guten Verpflegungskonzepts im Ganztag, welches in Zusammenarbeit mit allen beteiligten Akteuren erstellt wird. Nur wenn ein solches Konzept vorliegt, können (Schul-)Träger die Leistungsbeschreibung in der Ausschreibung für Caterer entsprechend gestalten. Gleichzeitig sind Schul- und Hortleitungen oft überfordert, selbst Leistungsbeschreibungen zu erstellen, denn für diese gilt viel zu berücksichtigen: Was sind Qualitätskriterien? Wie sieht überhaupt der Markt aus, welche Anbieter gibt es in der Umgebung der Schule? Welche Möglichkeiten gibt es, die Qualität des Essensangebots zu überprüfen? Das alles sind Fragen, die schon bei der Erstellung der Ausschreibung bedacht werden müssen und für die es fachkundige Expertise braucht. Wenn aber die Leistungsbeschreibung allein beim Schulträger oder von Externen erstellt wird, ohne dass die Beteiligten vor Ort eingebunden sind, fehlen die pädagogischen und individuellen Aspekte: Wie kann Ernährungsbildung an dieser konkreten Schule auch praktisch umgesetzt werden? Gibt es z.B. eine Lehrküche? Ein Verpflegungskonzept bündelt die Fragen für die Einrichtung und beschreibt deren Selbstverständnis in Hinblick auf Essen und Trinken. In der anschließenden Diskussion bestätigten die Teilnehmenden, dass es oft noch sehr stark vom Engagement einzelner, z.B. auch von Eltern, abhängt, ob und wie ein Verpflegungskonzept in einem partizipativen Prozess erarbeitet wird.
Weiterführend auf ganztagsschulen.org: Mittagessen und Schulverpflegung
21. Fachforum | Qualifikationen für den Ganztag für Lehr- und Fachkräfte
Prof. Dr. Jörg Kayser | Hochschule für soziale Arbeit und Pädagogik (HSAP)
Ildikó Kanalas-Kahler, Ricardo Grams | Serviceagentur „Ganztägig lernen“, Deutsche Kinder- und Jugendstiftung Schleswig-Holstein
Adrienne Rausch | Landesverband der Volkshochschulen Schleswig-Holsteins e. V.
1. Professionalisierung durch Qualifizierung
Die Frage der Qualität im Ganztag ist eng verbunden mit Anforderungen an das vorhandene und auch neu einzustellende Personal. Zur Entwicklung der Qualität im Ganztag gehört somit insbesondere die Qualifizierung und Weiterbildung des im Ganztag eingesetzten pädagogischen Personals sowie die Fachkräftegewinnung.
Die Serviceagentur „Ganztägig lernen“ Schleswig-Holstein hat für die Zielgruppen pädagogische Mitarbeiter:innen und Koordinator:innen an Ganztagschulen verschiedene Qualifizierungs- und Vernetzungsangebote entwickelt. Seit 2017 setzt sie flächendeckend den modularisierten Zertifikatskurs „Qualifizierung pädagogischer Mitarbeiter:innen an Ganztagsschulen“ in Kooperation mit dem Landesverband der Volkshochschulen Schleswig-Holsteins e. V. um. Ziel ist es Personen ohne pädagogische Grundausbildung und ohne Leitungsaufgaben, die aktuell im Ganztag tätig sind oder sich in Vorbereitung darauf befinden (Quereinsteiger:innen) zu qualifizieren. Teilnehmende sind in der Regel teilzeitbeschäftigt und im Schnitt älter als 40 Jahre. Der Zertifikatskurs besteht aus fünf Modulen mit 4x 14 UE + 1x 7 UE (Arbeitsfeld, Kommunikation und Gesprächsführung, Kommunikation und Konfliktlösung, Pädagogik und Lernen, Präsentation und Zertifikatsübergabe). Beleuchtet wurden jeweils die Entwicklungsprozesse, die positiven Effekte wie auch die Herausforderungen sowie das Vorgehen bei der flächendeckenden Umsetzung in Kooperation mit den Volkshochschulen in Schleswig-Holstein.
2. Qualifizierung von Lehr- und Fachkräften im Ganztag
Prof. Dr. Jörg Kayser stellte die Anforderungen des Ganztags in einem Berliner Landesinstitut vor. Die Hochschule für soziale Arbeit und Pädagogik Berlin entwickelt aktuell ein Konzept für ein neues Landesinstitut für Weiterbildung für Lehrer*innen. Dabei ist sie Prozessbegleiter:innen und gestaltet einen Begleitungsprozess nach dem Motto „zuerst Thesen anstatt eines Konzepts“. Ausgehend vom Grundverständnis, dass Bildung, Erziehung und Begleitung Aufgaben des ganzen Personals an einer Ganztagsschule sind, aber Aufgaben gleichzeitig primär professionsspezifisch im eigenen Wirkungskreis wahrgenommen werden, wird das Qualifizierungsprogramm für multi- und transprofessionelle Teams entwickelt.
Präsentation von Ildikó Kanalas-Kahler und Ricardo Grams zum Download